Gefiederte Wegwerfgesellschaft

Papageien schmeissen einen Grossteil ihres Futters weg – vermutlich in weiser Voraussicht.

Auch er ist ein Futterverschwender: Der Gelbbrustara aus Südamerika
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Polly möchte einen Cracker. Sie erhält aber Gemüse, denn Papageien brauchen verschiedenste Nährstoffe. Polly nimmt einen Biss und wirft den Rest auf den Boden.

Das ist ein ganz normaler Vorgang, den Papageienliebhaber auf der ganzen Welt bestens kennen. Es spielt keine Rolle, welch köstliche, nahrhafte Mahlzeit die Vögel vorgesetzt bekommen, «die Hälfte davon landet am Boden oder klebt an den Wänden», sagt Kat Gupta, Halterin von Leia, einem bronzeflügeligen Rotsteisspapagei und aktive Teilnehmerin in Online Message Boards, wo sich Papageienhalter über weggeschmissenen Salat und umgekippte Schalen austauschen.

Polly, Leia und ihre gefiederten Kollegen sind nicht gezwungenermassen wählerisch. Sie sind einfach Papageien. Gemäss einer kürzlich im Fachblatt «Scientific Reports» veröffentlichten Studie verschwenden auch Papageien in der Wildbahn ihr Futter – ein ungewöhnliches und verwirrendes Verhalten im Tierreich, wo es eigentlich darum geht, das meiste aus einer Mahlzeit herauszuholen, um zu überleben.

«Die neue Studie liefert ein umfassendes Bild über die Food-Waste-Praktiken von Papageien in der natürlichen Umgebung», sagt die Biologin Anastasia Krasheninnikova vom Max-Planck-Institut für Ornithologie in Seewiesen bei München. Sie war an der aktuellen Untersuchung nicht beteiligt.

Daten von 103 verschiedenen Papageien aus 17 Ländern

Wie Papageienhalter haben auch Wissenschaftler schon lange bemerkt, dass ihre wilden Studienobjekte Früchte, Blumen und Samen wegwerfen, die sich sehr gut als Nahrung eignen würden. Manchmal nehmen sie einen Biss oder zwei, bevor sie das Stück Nahrung wegwerfen. Andere Male «zerschneiden sie das Futter nur und lassen es dann fallen», sagt die Biologin Esther Sebastián-González von der Universität Miguel Hernández in Elche (Spanien), die Hauptautorin der Studie.

Ein Team von Ornithologen hat dieses Verhalten in der freien Wildbahn über mehrere Jahre untersucht. Insgesamt sammelte das Team Daten von 103 verschiedenen Papageien aus 17 Ländern, das entspricht etwa 30 Prozent der bekannten Papageienarten.

Wie sich dabei herausstellte, verschwendete jede einzelne Art Futter, vom Gelbbrustara aus Südamerika bis zum Gelbhaubenkakadu in Australien. In einigen Fällen beobachteten die Forscher gar Papageien, die 80 Prozent ihres Futters wegwarfen. «Wir wussten, dass die Wegwerfmentalität weit verbreitet ist», sagt Sebastián-González, «ob des Ausmasses waren wir aber überrascht. Es scheint, als ob die Papageien mit dem Futter spielen, anstatt es zu essen.»

Eine Verhaltensanalyse zeigte durchaus Muster: Die Papageien werfen eher unreife Früchte weg als reife, und sie gehen zur Brutzeit sorgfältiger mit dem Futter um, wenn sie hungrige Küken ernähren müssen. Andere Faktoren spielten hingegen keine Rolle: die Grösse der Vögel, die Anzahl anderer Vögel in der Nähe oder ob es Parasiten in den Früchten hatte oder nicht. Sogar Vögel, die eine ganze Weile nichts gegessen hatten, schmissen einen Teil ihrer neuen Mahlzeit weg. «Sie machen das in allen Situationen», sagt Sebastián-González, «das ist schon sehr merkwürdig.»

Was haben die Papageien selber von ihrem Verhalten?

Das verschwenderische Verhalten der Papageien könnte letztlich anderen Lebewesen im Ökosystem der Vögel zugutekommen. Die Forscher beobachteten insgesamt 86 verschiedene Tierarten – von Ameisen bis hin zu Zebu-Rindern -, die sich von weggeworfenem Papageienfutter ernährten. Einige dieser Zweitverwerter könnten dann Samen der Früchte weiterverbreitet haben, was letztlich auch für die Pflanzen von Vorteil ist.

Doch dies beantwortet die wichtigste Frage nicht: Was haben die Papageien selber von ihrem Verhalten? Früher haben Ornithologen das Verhalten der Ungeschicklichkeit der Papageien zugeschrieben. Weil es aber so weit verbreitet ist, glaubt Sebastián-González, könnte auch «eine Absicht dahinterstecken». Sie vermutet, dass die Papageien «vorausplanen» können. «Wir Menschen schneiden Früchte weg, um die Ernte zu verbessern», sagt die Biologin, «vielleicht machen die Vögel etwas Ähnliches. Sie stutzen die Bäume, um später süssere und grössere Früchte ernten zu können.»

Von Papageien wisse man, dass sie vorausschauende Entscheidungen treffen können, sagt die Max-Planck-Forscherin Anastasia Kra sheninnikova. Sie wäre daher nicht gross überrascht, falls die Hypothese von Sebastián-González zutrifft. Allerdings, so Krasheninnikova, sei damit noch nicht klar, wie sich das Verhalten überhaupt entwickeln konnte.

Die Forscher hoffen, ihre Hypothese in künftigen Studien testen zu können. Derweil müssen Papageienhalter wie Kat Gupta weiterhin zum Besen greifen und sich – vermutlich vergeblich – neue Nahrung und Fütterungsstrategien ausdenken. «Aufgrund unserer Studie», sagt Sebastián-González, «glaube ich nicht, dass man da viel machen kann.» «The N.Y. Times»

Artikel von Cara Giaimo
Erschienen in der SonntagsZeitung, 1. Dezember 2019.